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Kunst: Auge um Auge

Einführung zur Ausstellung im Schloß Neckarhausen 2014
»Künstler der Heidelberger Schule für Kunst«

Keuchenius

 

 

I.

Ob wer was von Kunst verstand oder nicht – eines wußte er immer: die Binsen­weisheit nämlich, daß Kunst von Können kommt. Längst sind aber schon Läster­zungen gewachsen, die sagen: Ja, ja, die Kunst, sie kommt von Können, aber nicht die moderne Kunst. – Spaß beiseite!

 

Irgendwoher muß sie kommen, die Kunst, und so machen wir uns schon lange Gedanken über sie und überheben sie philo­sophisch und durch­leuchten sie psy­cho­logisch; verstehen sie als Ausläufer letzten religiösen Gefühls oder als grund­politisch; als Tradition schaffend oder alte Seh­gewohnheiten ab­schaffend und provozierend; als reines Handwerk der Ab-bildung und Wiedergabe des Ge­ge­benen oder als Schaffens­prozeß, der über das Gegebene hinausführt. Wir machen uns Gedanken darüber, was Sinn und Zweck der Kunst ist und kommen zu weit aus­einander­liegenden Positionen: Dient sie oder ist sie frei?
Wir denken über Sinn und Zweck der Kunst nach und ebenso darüber, ob wir nicht auch ohne sie auskommen. Und vielleicht besser ohne sie. Einer, der hierüber nach­dachte, war der Philosoph Platon, den es ge­lüstete, die Künstler aus seinem Staat zu ver­ban­nen. Kunst­gegner­schaft hat Tradition, ja sie gehört zur Kunst­ge­schichte. Frü­heste Beispiele finden sich schon in alt­testament­licher Zeit:
Moses bescherte uns mit den 10 Geboten die seltsamste und folgen­schwerste Forderung an die Künstler: »Du sollst dir kein Bildnis machen!« Seither zieht sich ein roter – teils blutroter – Faden durch die Geschichte der Kunst. In Zeiten des Alten Testaments gab es Streitereien bis Todesurteile. Ein ost­römischer Kaiser forderte von Byzanz aus ein striktes Verbot von Heiligen­bildern, und dagegen wetterte der Papst aus Rom: die Kunst gehe den Kaiser nichts an, woraufhin der Kaiser mit Geld­bußen für Künstler drohte und mit Ver­bannung, Folter und Ver­stüm­melung.
Für solch rigoroses Vorgehen hatte zuvor Tertullian die Gründe an den Haaren herbei­gezogen: Wer einen Tisch malen könne, der könne ihn auch an­streichen. Indem er die Kunst als Mach­werk des Teufels ausrief, als Teufels­werk also, waren die Künstler Teufels­söhne und Aus­übende der »Grund­sünde«, wofür beim Welt­gericht härteste Strafen zu erwarten seien. Und das geht so weiter: Kaum hatte der Maler Giotto den mittel­alter­lichen Gold­grund zum Blau des Himmels geöffnet und den Landschafts­raum vertieft, da verdammte der eifernde Buß­prediger Sa­vo­na­rola in Florenz die Renaissance-Künstler dazu, ihre Bilder zu verbrennen, und trieb es dabei so weit, daß er selbst auf dem Scheiter­haufen verbrannt wurde. Bald darauf liefen auch Protestanten Sturm gegen die Bilder. Ihr berühmter »Bilder­sturm« fegte Kirchen leer und prägte den optischen Unter­schied zu den katholischen Gottes­häusern bis zum heutigen Tag.

 

Wer nun denkt, die von weltlichen und kirchlichen Fürsten befreiten Künstler der Moderne verschafften sich mehr Freiheit und Spielraum, der sollte nochmal gründlicher nachdenken. Immerhin erfüllten die Modernen das, was zuvor die Bilder­gegner forderten: Die Abschaffung des Bildes als Ab-bild und als Wieder­gabe dessen, was in der Welt zu sehen ist. (Und das  o h n e  das Malen ganz aufgeben zu müssen.) Wie das möglich ist? Aber das wissen Sie ja: Die Impres­sionisten lösten die Konturen auf, die Farben liefen sozusagen aus, die Gegen­stände ver­schwammen, und die (von der Re­naissance eroberte) Perspektive nahm ab. Auf dem Weg über den Kubismus bis hin zu den Abstrakten wurde die Gegen­ständlich­keit schließlich gänzlich aufgelöst; die Bilder waren keine Ab­bilder mehr ... Nie zuvor gab es einen so radikal freiwilligen Verzicht auf das Abbild wie in der Moderne; und eine so radikale Er­füllung des Gebots »Du sollst dir kein Bildnis machen.« Nun, ich bin mir gar nicht so sicher, ob der Liebegott das denn so meinte. Die Künstler der neuen Avant­­garden jedenfalls nahmen sich ernst, sehr ernst, wenn sie um ihre neuen Richtungen rangen. Denn sie rangen nicht nur mit ihrer Muse, sondern auch gege­neinander. Blaues Auge um blaues Auge ging es da schon mal, wenn etwa Malewitsch, der Schöpfer des Schwarzen Quadrats, sich mit dem Schöpfer eines noch bißchen figürlicher und per­spek­tivischer geratenen Werkes prügelte. Auge um Auge zur wahren Kunst – noch nie fiel mir ein besseres Schluß­wort ein, aber, ich bin noch nicht am Ende – die hier ausstellenden Künstler warten noch ...

 

II.

Ich begrüße zunächst KATHARINA BOLZ, die sich mir damals vor­stellte mit dem Wunsch, Illustratorin zu werden. Auch ich wünsche mir viele von ihr illus­trierten Bücher, die ich Katharina nicht nur zutraue – ich seh´ sie schon vor mir! Katharina hat, als unsere Jüngste, die gewiß frischeste – taufrische – Reihe bei­ge­steuert. Ein Mädchen, das sich ziel­strebig verirrt, u. a. in die HSK, um, aus dem eigenen Stand heraus, ein paar Sprünge zu versuchen. Ein paar hand­werklich technische Sprünge auch, um schließlich an einen noch un­ge­malten Ort zu ge­langen, wo sie erst zögernd und dann in alle Himmels­richtungen stürmend die Frage ruft: »Wo bitte geht’s hier zur Kunst?« Und ohne auf Antwort zu warten, springt sie ins Un­gemalte, reißt sich die Farben vom Leib und folgt ihrer noch un­ge­gangenen Spur ...

 

Ihr folgt, alphabetisch, KEUCHENIUS. Da es sich bei ihm um mich handelt, käme ich bei der Selbst­be­trachtung in Ver­legen­heit, sodaß ich lieber nur zitiere. In der RNZ schrieb Heide Seele: »Die Bilder« des Künstlers, der »fest in der abend­ländischen Tradition verwurzelt ist, schlagen eine Brücke vom Sakralen zum Pro­fanen. Ihr Ausdrucksgehalt ist zwischen Leid und Lust an­zu­siedeln. Heilige neben lockeren Mädchen, stille Ge­bärden der Ver­senkung neben grellroten Mün­dern.« Auch ein Autor der Badischen bleibt an den roten Lippen der Damen hängen und meint: »Rätselhaft bleibt dem Betrachter, warum die rot­lippigen Luder zwar im Kontrast zu den biblischen und den philo­sophischen Figuren auftreten, aber nicht wirklich einen Gegensatz zu ihnen bilden. Vielleicht eint alle der Ernst, mit dem Keuchenius´ Kunst am Menschen festhält.« Und da aller guten Lobe drei sind, hier noch eines, das zu den vorausgehenden paßt: »Nicht vom Fort­schritt zeugen Keuchenius´ Bildnisse und nicht von Höhen­flügen, sondern von der Ver­tiefung des Menschen«, mithin auch von tiefem Fall. Gerne lasse ich mir diese Übertreibungen gefallen – wie sonst könnte ich die folgende Kritik überstehen: Schon einmal stellte ich hier im Schloß aus und sah, wie am Abend der Eröffnung ein kleiner Junge sich über das Gästebuch beugte, alles las und dann selbst etwas dazuschrieb und lächelnd und eilig den Raum verließ. Neugierig ging ich zu dem Buch, um mich überraschen zu lassen und las: »Das sind Scheiß­bilder!«

 

Mit CHRISTIAN LÄRZ lief es so. Man hatte mich gebeten, mit Christian Lärz Kontakt auf­zu­nehmen, mit einem Tetra­plegie-Patienten, einem quer­schnitts­ge­lähmten jungen Mann, der seit einem Unfall nur noch den Kopf bewegen kann. Seine be­schäftigungs­thera­peutischen Versuche sollte ich mir ansehen, sie be­gut­achten und be­ur­teilen, ob ich mit dem Herrn Lärz etwas an­fangen könne. Auf diese aben­teuerliche Idee war seine Ergo-Therapeutin Doris Fellhauer gekommen, welcher hierfür zu danken ist. Die Mund­malerei meines Schülers wurde nicht nur allmählich, sondern von Mal zu Mal immer besser, sodaß ich ihm schon nach einem Jahr eine kleine be­scheidene Ausstellung organi­sierte, und ver­gangenes Jahr nahm ich eine seiner Stadt­land­schaften in das neue Heidel­berg-Buch auf, heimlich, um ihn zu über­raschen, und legte das Bild auch der Wochen­zeitung DIE ZEIT vor, wo das folgende zu lesen steht (im Auszug):

    »Stifte und Pinsel bewege ich mit dem Mund. Ein Lehrer der Heidelberger Schule für Kunst (Keuchenius) sah ein paar unbeholfene Kritzel von mir und sagte: Das wird bald Hand und Fuß haben.« Seither kam er jede Woche für eine Stunde zu mir, und aus den Kritzeln wurden Aquarelle von Landschaften und Räumen, die ich nicht mehr betrete und die sich mir nun dank der Kunst wieder öffnen. So entstand auch eine weitere Ansicht meines der­zeitigen Woh­norts Heidelberg, die nun sogar – ohne mein Wis­sen – in ein Buch (»Heidelberg – Geist und Rätsel«) auf­ge­nommen wurde. Ich wollte es nicht glauben: ich, zwischen lauter berühmten Künstlern, die diese Stadt gemalt haben, nur ein paar Seiten von William Turner entfernt, ein paar Seiten nach dem zeichnenden Goethe. Als ich fragte, wie das sein kann, sagte mein Lehrer: »Das kommt davon, vom Kritzeln.«

Ich weiß, daß Du noch vieles zu Wege bringen wirst, Christian.

 

ANKE NEUMANN hatte im vergangenen Jahr an anderem Ort eine Einzel­aus­stellung, zu deren Er­öffnung ich diesen ab­schließenden Satz sagte:

    »Wer mit dem Schöpferischen einmal ernst macht, den läßt die Kunst nicht mehr los; mit dem hat die Kunst etwas angefangen.«

Daraufhin nahm sie eine Pause, eine verdiente, dann eine Verlängerung der Pause und schließlich eine Auszeit, mit der persönlichen Einsicht, daß sie dann für hier und jetzt nicht liefern könne und also aus der Aus­stellung aussteigen müsse. Ich bot den Kompromiß an, das damals neueste hier noch einmal zu zeigen, sozusagen um in Fahrt zu bleiben. »Exotisch orientalische Well­ness« könnte man die 3 Kreide­arbeiten nennen, für »1001 Nacht«, aber, Anke, dann bist du uns, nach Adam Riese, noch 997 weitere schuldig … Mit einer vierten Arbeit hast Du Dir sogar eine »Brücke« gebaut – die alte Heidelberger Brücke – zu neuen Ufern, denke ich, die Du aber noch nicht beschritten, geschweige denn überschritten hast. Willst du denn unbedingt riskieren, daß wir Dich hier im Schloß-Verließ einsperren, strafweise bei Brot und Wasser und Kreide und Papier? Und wenn das auch nicht klappt, kommt noch täglich 1000 mal Schreiben hinzu: »Talent verpflichtet … Talent verpflichtet … Talent verpflichtet …« (1000 mal, und es wird nachgezählt!). Wenn´s Dich jetzt schüttelt und ängstigt und die Alb­träume schon vor dem Schlafen­gehen einsetzen und Du tätige Reue gelobst, künst­lerisch tätige Reue, dann setze ich die gerechte Strafe zur Bewährung aus und gebe zu, daß ich jetzt schon neugierig bin, was dabei heraus­kommt.
Nach­schlag: Wenn sie schon trotz ihrer künstlerischen Erholungspause mit­aus­stellt, wollte ich hier gerne auch noch ein paar ihrer schwarz­grundigen Arbeiten zeigen, an deren Beginn ich mich noch gut erinnere: Sie saß nach­denklich vor dem Modell, zog plötzlich eine kleine runde Schminkdose hervor, langte mit einem Finger rein, schmierte das auf ein dunkles Blatt, und ich dachte: »Aha, kommt Kunst von Schminken?« und sagte: »Na, denn mach mal schön.« Und tatsächlich machte sie schön.

 

Alphabetisch schließen wir mit ALIN POLLES. Als sie zu mir kam und ein paar Blätter zur Be­ur­teilung vorlegte, sah ich Bilder, aber noch keine Kunst. Auch die sym­pathisch zurückhaltende Stimme versprach noch keine Kunst. Natürlich weiß ich, daß sie und alle, die mit ähnlichem Anliegen kommen, lieber was anderes hören; lieber das, wovon sie träumen und weniger das, was Sache ist. In dieser meiner Not mischte ich ihren vor lauter Wollen dunkel leuchtenden Blick in ihre mitgebrachten Bilder ein, und siehe da, ich sah noch anderes und ahnte … Kunst. Über sie, also über Alin Polles´ Kunst möchte ich Ihnen einen kleinen Aus­schnitt ihres momentanen Standes mitteilen: Abstraktion geht ja ge­wöhnlich den Weg vom Genständlichen zum Ungegenständlichen. Bei Alin Polles, bei ihren gemalten Bildern (mehr als bei den gezeichneten) hat es den Anschein, das künstlerische Geschehen komme umgekehrt aus dem Un­ge­stal­teten in die Gegen­ständ­lich­keit. Ihre Land­schaft, Türme, das Boot, eine Brücke, all das  t a u c h t  auf (und kündet von seinem erneuten Ver­schwinden). Die schlummernde Land­schaft, die aus der Ver­gangen­heit in die Gegenwart wächst, die alte Brücke, die von Heidelberg flüstert, das in eine an­gehaltene Zeit treibende Boot – all das sind Bilder, in denen wir Stille hören. Vielleicht ist sie ja Musikerin, die das Leise komponiert, und was wir sehen, das sind Partituren der Stille, die wir mit den Augen wahr­nehmen.

 

*

Am Ende darf Goethe noch was sagen, der den zu einer schönen Ausstellung passendsten Satz aufschrieb:

    »Welch eine Freude, in Zügen und Farben dem Unaussprechlichen näher zu kommen.«

Es geht natürlich auch amerikanischer: Wenn die Amis performen, rufen sie ihrem Publikum gerne sowas zu wie: »I love you all!« Ich bin kein Amerikaner und werde das nicht sagen ... Nein, sowas liegt mir nicht! Aber gerne kann ich es Euch übersetzen: Ich liebe euch alle ...

 

 

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