Tricolore.

Die Machtverhältnisse unter den Top-Models des Louvre scheinen geregelt zu sein: Königin des französischen Museums ist zweifellos die Italienerin Lisa (La Gioconde) von Leonardo da Vinci, und als ewige Zweite steht ihr die Vize-Schönheit von Milo (Venus) nur wenig nach. Frische Konkurrenz haben die beiden kaum zu fürchten, da der Louvre wohl auch künftig das 19. Jahrhundert nicht überschreiten wird. Ließe man jetzt die Franzosen (minus Ausländer) selbst abstimmen, könnten Lisa und die Milo alt aussehen, und die neue Königin wäre dann wohl Marianne, die mit Oben-ohne und Fahne über dem Kopf das Bild »Die Freiheit führt das Volk« beherrscht; ein 260 x 325 cm großes Gemälde, in dem der französische Maler zwischen Romantik und Impressionismus, Eugène Delacroix, die Julirevolution des Jahres 1830 inszeniert. Jenen dreitägigen Aufstand der Bürger gegen die Obrigkeit, zur Rettung der Errungenschaften der französischen Revolution.

 

In Ermangelung eines herausragenden Führers der spontanen Erhebung, stellt der Maler die Freiheit an die Spitze. Natürlich ist sie schön, die Freiheit, natürlich ist sie mütterlich und natürlich ist sie unverletzlich. (Schön wär's!) Die von Marianne hochgehaltene Fahne, die blau-weiß-rote Tricolore, erscheint wie eine symbolische Vergegenständlichung des vom Freiheitskampf blau, weiß und vom Feuer rötlich gefärbten Himmels über Paris.

 

Unbeachtet blieb, daß der Künstler einen Wind ins Bild stürmen läßt, der die Reihenfolge der drei Farben umkehrt: aus blau-weiß-rot wird (rückseitig) rot-weiß-blau (ikonologisch betrachtet eine Sünde). Was in der Wirklichkeit dem Wind geschuldet wäre und nicht weiter Betrachtung fände, muß im Bild irritierend auffallen, denn - ikonologisch – soll dem Betrachter des Bildes ja kein Wetterbericht des zweiten Revolutionstages geboten werden, sondern was zum Jubeln, zum Identifizieren, und da läßt die verkehrte Fahne stutzen. Zumal sich die Tricolore auch noch zwei Male in der Kleidung von Kämpfenden verkehrt herum »spiegelt« statt korrekt zeigt. Rein ikonologisch gesehen darf man das als einen faux pas ansehen. (Es sei denn der Künstler hat sich was dabei gedacht...)

 

PS & apropos Blutvergießen und Frankreich (in anderer Sache). Die Sprecherin einer Sendung des ARD schloß mit den Worten: »Der Terror geht weiter. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend.« Die Franzosen nennen sowas einen »faux pas«.

 

Keuchenius