Lisas Geheimnis und Birthe.

      Der Mensch neige zur Konformität, das haben neue psychologische Studien wieder belegt. Im »informellen Totalitarismus« der digitalen Revolution verliere sich die Freiheit des Einzelnen, und Menschen schlössen sich häufiger einer Mehrheitsmeinung an (selbst wenn sie offenkundig falsch sei). Am Phänomen »Mona Lisa« kann man das nur bestätigen, denn...

...kaum jemand findet sie reizend oder schön, und auch das berühmte Geheimnis ihres Lächelns haut niemanden mehr um, und doch pilgert jeder nach Paris, besucht sie im Louvre, hängt an den Lippen des Museumsführers, glaubt und vergisst, was der sagt, und ist überzeugt, da sei noch was. Nun, wenn's der Kunstführer sagt und alle es nachsagen, will man ja kein Spielverderber sein; enttäuscht ist man dennoch und bleibt eine Weile halb ratlos, halb gerührt in der Masse stehen. »Nicht mein Typ«, murmelt Herr Hinz, und »Was hat die denn, was ich nicht auch hab!« fragt Frau Kunz, und so lernen sich Hinz und Kunz kennen, gehen anschließend gemeinsam einen Kaffee trinken usw. und wenn sie nicht gestorben sind...

 

Aber zurück zu dem anderen Märchen, zu dem vom »geheimnisvollen« Lächeln. Ohne Opernglas sieht man's gar nicht, weil nicht nur eine Absperrung uns auf Abstand hält, sondern auch die Chinesen, die (seit ihrer blühenden Wirtschaft) überall hindrängen, auch zur Lisa, und dabei die Japaner (mit ihrer welkenden Wirtschaft) verdrängen. Etwas größer gewachsen wünscht man sie sich schon, die Chinesen, denn dann wäre unser Blick auf Lisa versperrt, und man könnte ungestört das Neueste auf seinem Smartphone checken: Birthe hat wieder eine neue Food-Kreation ins Netz gestellt, und alle, alle Freunde liken es: »Hmmmm, neidisch!« (8 mal) und »supi!« (19 mal) und … da taucht auch schon wieder ihre Katze auf und löst einen »süüüüß!«-Sturm aus (27 mal), und Ulli bekennt sich im Netz zu Holger, und sofort vergisst Birthe ihr Food samt Katze und »will, will, will Trauzeugin!« sein und den Hochzeitsschmaus will sie zubereiten und hat hierfür schon ein paar coole Ideen ins Netz gestellt: Was am meisten geliked wird, kommt auf den Tisch!

 

Die vor mir stehen, zwischen Lisa und mir, die aus dem »Land des Lächelns«, aus China, machen jetzt Platz, und die hinter mir drängen mich nach vorne, näher zum Objekt der künstlerischen Begierde. Jetzt sehe ich sie endlich lächeln, ja, doch, wenn man sich ihr nähert, lächelt sie. Ob das auch am Namen liegt? Eine andere Lisa nämlich, die vom Grafen Lichtenfels, also die aus dem »Land des Lächelns« (aus der Operette von Lehar), lächelt ja auch recht berühmt! Als sie noch dachte, sie könne den chinesischen Prinzen kriegen, Son-Chong; und als die Schmetterlinge im Bauch noch blind machten für die gesellschaftliche Unvereinbarkeit der Geschlechter aus Lichtenfels/Hessen und China. Passt nicht, sagten die alten Chinesen und schon gab's nichts mehr zu lächeln für die von Lichtenfels, und sie ward traurig im fremden Land. Allerdings nicht lange, denn ihr Ex-Gustel war ihr nachgereist, tröstete sie und eroberte sie erneut. Der arme chinesische Prinz dagegen musste einsehen, daß er gegen Tradition und Gustl nichts mehr ausrichten konnte und stimmte ein traurig Liedlein an: »Liebes Schwesterlein, sollst nicht traurig sein« und ließ die Geliebte mit einem traurigen  Lächeln zwar nicht aus seinem Herzen, doch aber zurück nach Hessen ziehen.

 

Noch einmal zur florentinischen Lisa, der Gattin des Kaufmanns Francesco del Giocondo, und zu ihrem geheimnisvollen Lächeln, das nicht über die fehlenden Augenbrauen hinwegzutäuschen vermag; und auch sonst passt sie nicht lückenlos ins Bild, ins heutige, denn weder kommt sie zart romantisch rüber noch verkörpert sie die Powerfrau, und ihr leicht aufgedunsenes Gesicht hat auch nichts von der vornehm-interessant kränklichen Dekadenz hungernder Laufsteg-Models. Böse Zungen sprechen gar von einem langweiligen Geschöpf! Verdient sie das Prädikat »geheimnisvoll« überhaupt noch? Zur Rettung der schmeichelhaften Behauptung taugt am Ende wohl nur noch die gewagte Annahme, Lisa sei schwanger gewesen? Dafür spricht immerhin der Umstand, dass Schwangere – so der Volksmund – kaum ohne ein gewisses Dauerlächeln anzutreffen seien, das beständig aussieht, als wolle es sein noch nicht sichtbares Geheimnis verraten (obwohl ihnen anfangs doch gar nicht zum Lachen und eher zum Speien zumute ist). Da Vinci dürfte dann der erste Maler gewesen sein, der das »In-guter- Hoffnung-Sein« so geheimnisvoll dezent in ein Bild einfing? Zählen wir 1 und 1 zusammen: Das pregnante Lächeln plus der Umstand, dass er das Bild wie seinen Augapfel hütete und überall hin mitschleppte, sagt uns: Er war's! Der Meister höchstpersönlich war's, der »die gute Hoffnung« auslöste! Er und nicht »nur« der Kaufmann? So lieb uns diese Vorstellung auch sein mag, sie hat einen Haken. Denn es lächeln so ungewöhnlich viele weibliche Modelle da Vincis, dass er als Erzeuger der vielen Umstände unwahrscheinlich wird. Schließlich stand er auch mehr auf den Ullis und den Holgers, und ich freu mich echt für Birthe und seh schon, wie sie sich für die beiden ins Zeug legt und »like« jetzt schon mal alle ihre kreativen Foods.

 

Keuchenius

  Fernando Botero - nach da Vinci